Das Loslassen von Fotos – die Erinnerungen bleiben

Was bleibt von einem Menschen? Es sind neben manchen materiellen Dingen die Erinnerungen an die Zeit, die man mit ihm verbracht hat. Fotos, Filme und vielleicht das ein oder andere Souvenir oder Geschenk, dass uns einen bestimmten Moment wieder ins Gedächtnis ruft. Erinnerungen nehmen einen besonderen Platz beim Loslassen ein.

Im Flur stand ein großer Karton, voll mit Fotos und Dias, die noch sortiert werden müssen. Bei den Fotoalben ist das eine einfache Sache. Sie lassen sich durchblättern und die Entscheidung, ob der Inhalt wichtig ist, oder nicht, ist schnell gefällt. Egal, wie unwichtig uns das Festhalten von damaligen Ereignissen erscheint, wir haben sie zu diesem Zeitpunkt als wichtig und prägend empfunden, sonst hätten wir uns nicht die Mühe gemacht, sie auf Film festzuhalten und – so wie es vor dem Zeitalter der digitalen Fotografie war – ein oder zwei Wochen auf die Entwicklung der Abzüge gewartet.

Ich nahm mir also vor, an das Sortieren meiner Fotos zu gehen. Mir war klar, dass ich mich von vielen Aufnahmen trennen werden müsste. Meist schaut man sich die Bilder sowieso nicht mehr an. Doch es geht darum, zu entscheiden, welche Fotos ich meiner Tochter hinterlassen wollte. Und so fing ich an die Filmstreifen, die Abzüge und die Negative einzeln durchzuschauen.

Fotos sind eine Zeitreise in die Vergangenheit

Bilder tauchen auf aus meiner Jugend. Frisch verliebt und so jung. Bilder meiner Eltern, wie sie gemeinsam ihr neues Zuhause umbauten. Mein Bruder, als er seinen erstgeborenen Sohn in den Armen hielt. Fast selbst noch ein Kind, aber unheimlich stolz. Bilder von Andreas, wie er unseren ersten Kater knuddelte. Wir beide, wie wir uns beim Sport verausgabten. Von unserer Silvesterfeier mit Thomas – auch er lebt nicht mehr. Die silberne Hochzeit meiner Eltern, der Umbau unseres Bauernhauses, das ich jetzt verkauft habe. Die Babybilder meiner Tochter, Fotos, die ich schon vergessen hatte. All das liegt jetzt vor mir auf dem Tisch und ich muss entscheiden, was ich davon behalten werde und was ich endgültig entsorge. Für mich haben nur wenige Bilder einen wirklichen Wert. Doch meine Tochter wird später vielleicht fragen, wie ihre Eltern und Großeltern ausgesehen haben, als sie jung waren. Eine Kiste aufräumen, wenn ich nicht mehr da bin. Und dann wird sie ihre Mutter anschauen, jünger als sie selbst, gespannt, was das Leben für sie bereithält. Ein Leben, das sie noch vor sich hat, so wie meine Tochter jetzt.

Ich finde Geburtstagskarten. Eine von der Großmutter von Andreas: Schau auf die Menschen, denen es schlechter geht, wie Dir, dann geht es Dir wieder gut. Welcher Geburtstag war das? Es muss eine Zeit gewesen sein, die nicht ganz einfach für uns war. War es, als er in einer Fortbildung steckte und wir von meinem Einkommen leben mussten? Unsere Wohnung war nicht sehr groß und wir mussten genau schauen, wofür wir unser Geld ausgaben.

Fotos von materiellen Dingen, damals wichtig, heute nicht mehr

Fotos von Autos, von Fahrrädern. Der erste BMW, der erste Audi, der erste Defender. Unzählige Fotos von Hunden, von Trophäen, von Berggipfeln. Es scheinen damals Meilensteine gewesen zu sein. Etwas, das man festhalten muss.

Ich lasse alles los. All diese Statussymbole – längst verschrottet, entsorgt. Bleiben dürfen Fotos von Anlässen, an die ich mich noch erinnern kann. Vielleicht kommt die Zeit, in der meine Erinnerungen verblassen. Dann sollen diese Bilder noch eine Stütze sein. Von einem großen Umzugskarton mit Bildern ist jetzt ein Schuhkarton an Erinnerungen übrig geblieben. Die Sichtung aller digitalen Bilder und der Dias in den Magazinen wird nochmals viel Zeit in Anspruch nehmen. Und es wird wieder weh tun, all diese Zeitsprünge zu machen und mich zu erinnern, wie ich mich damals manchmal gefühlt habe.

Sterbe mit nichts

Gerade lese ich das Buch „Die whith zero“ von Bill Perkins. Seine Empfehlung, besser Erinnerungen zu sammeln und vor allem, Dinge zu erleben, an die man sich erinnert, deckt sich gerade mit dem Sortieren meiner Fotos. Mein Leben wird dann zum Erinnerungsbecken, wenn ich es mir erlaube, Erfahrungen zu machen, die sich positiv – meistens jedenfalls – in meinem Gedächtnis verankern. Wenn ich Materielles zu Lebzeiten weitergebe, anstatt darauf zu setzen, etwas vererben zu können. Mit nichts zu sterben hört sich vielleicht hart an. Meine Tochter hat jetzt, zu Beginn ihrer Ausbildung mehr davon, etwas von ihrem Erbe zu bekommen, damit sie sich voll darauf konzentrieren kann, anstatt von der Hand in den Mund zu leben. Wenn dies bedeutet, dass sie nach meinem Tod weniger bekommt, dann kann ich gut damit leben.

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Beitrag teilen auf

Letzte Blogbeiträge

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner