Es ist Dezember. Gerade war ich mit den Hunden laufen. Dicke Jacke, Mütze, Schal. Jeder Spaziergang im Winter ist immer wieder eine kleine Überwindung. Beim Schuhe anziehen murmele ich noch sowas wie „bin ich froh, wenn wieder Sommer ist“. Und dann, als ich zurückkomme, die Backen rot von der Kälte, da war es gar nicht so schlimm. Es hat ein bisschen geschneit, oben hängen die Wolken in den Bäumen und der Wald sieht aus, wie überzuckert. Ich mag das.
Zuhause stecke ich erst einmal ein Stück Holz in den Ofen und schaue den Flammen zu, wie sich langsam Raum nehmen. Das Wohnzimmer ist warm und ein bisschen Weihnachtsdeko ist auch schon da. Ich lasse mir eine Tasse Kaffee aus der Maschine und nasche ein paar Weihnachtsplätzchen dazu. Eine Zeitschrift liegt auf dem Eßzimmertisch. Heute früh habe ich gearbeitet, jetzt nehme ich mir ein bisschen Zeit, um zu lesen.
Der Winter zeigt die wahre Schönheit der Welt
Als ich das Heft aufschlage, lande ich bei einem Artikel über den Winter. Den Text muss ich jetzt lesen. Und meine Augen bleiben an dem Satz von der kanadischen Autorin und Glückstrainerin Krista O’Reilly-Davi-Dgui hängen: „Es ist eine Übung in Kargheit. Im Winter erblicken wir die wahre Schönheit der Welt, ohne Farbe, Glanz und Komfort. Alles ist kahl und unprätentiös. Das ist eine gute Zeit, um darüber nachzudenken, was wirklich von Wert ist.“ Ich kann ich nur zustimmen. Natürlich habe ich das große Glück, einer wunderschönen Landschaft zu leben, und mindestens einmal im Winter in den Genuss von frisch gefallenem Schnee zu kommen. Mein Gejammere ist zwar groß, wenn der Schnee für meinen Geschmack zu früh kommt, aber ist er dann da, dann liebe ich es, den Schneeflocken beim Tanzen zuzuschauen, durch den Pulverschnee zu laufen und die frische klare Luft einzuatmen. Diese Stille, die im Winterwald herrscht, die muss man aushalten können. Und doch liebe ich es, im Winter ansitzen zu gehen und nichts außer meinem Atem zu hören.
Ein langer Spaziergang durch den Schnee lässt die Haut rot werden und einen spüren, wie zart und verletzlich man ist. Wie wichtig es ist, gut für sich zu sorgen und alles etwas langsamer angehen zu lassen. Sobald man wieder im Warmen ist, fühlt sich der ganze Körper herrlich erfrischt an. Auch das Gefühl, anschließend einen heißen Tee oder Kaffee zu genießen und die Wärme auch innerlich im Körper ankommen zu lassen ist etwas Unvergleichbares.
Die Farben des Winters sind meine
Beim Durchschauen meiner Bildergalerie fällt mir auf, dass ich viele Bilder habe, die die kalten Farben des Winters abbilden. Und auch bei meiner Kleidung, beim Streichen meiner Wände bestimmen Grau- und Blautöne das Farbspektrum. Selbst bei meinen Porträtfotos nutze ich manchmal einen Filter, der allem eine etwas kältere, grauere Nuance gibt. Obwohl ich im Sommer geboren wurde, mag ich die gebrochenen Farben des Winters. Hochsommer ist für mich nicht wirklich Genuß. Bei Temperaturen über 25 Grad leide ich und mache gar nichts mehr. Die Üppigkeit des Sommers zu mögen ist leicht. Aber dem kalten Winter etwas abzugewinnen, auch wenn man kein Wintersportler ist, das fällt vielen schwer.
Der Winter als Bindeglied zwischen Herbst und Frühjahr
Im Feng Shui sind meine Elemente Metall – stellvertretend für den Herbst – und Holz, das den Frühling symbolisiert. Beide werden durch das Element Wasser verbunden, dem Winter. Wenn ich weiter gehe, dann stehe ich im Kreislauf des Lebens stehe ich mit meinen 60 Jahren jetzt im Herbst und bin damit sprichwörtlich „in meinem Element“. Ich ernte und bereite mich auf die letzte Lebensphase den Winter vor. Zeit des Rückzugs in sich selbst und Zeit der Reflektion.
Im Winter können wir uns einigeln. Der Winter schenkt uns einen Raum der Stille und eine Zeit, Trost, Traurigkeit und unsere dunklen Emotionen anzunehmen. Davon ist Pastor Arjan Broers überzeugt. Winter ist die Zeit der Entschleunigung, wenn wir es zulassen. Den Winter sollten wir nutzen, um in uns zu gehen, Pläne zu schmieden. Sobald die Tage wieder spürbar länger werden, dürfen wir die Zeit nutzen, neue Projekte zu beginnen und den Samen, der im Winter im Dunkeln gekeimt hat, zum Wachsen zu bringen.
Falsch verstandener Winter
Wenn ich mit anderen Menschen spreche, höre ich immer wieder das gleiche Klagen. Sie sind müde, erschöpft und nicht mehr in der Lage, die Weihnachtszeit zu genießen. Überall werden wir mit perfekt inszenierten Dekorationstipps bombardiert. Anstatt mit wenigen Mitteln ein bisschen Licht in die dunkle Jahreszeit zu zaubern herrscht ein Wettbewerb, wer noch mehr, noch heller und noch auffälliger dekoriert. Haben wir verlernt, die Stille und die Dunkelheit, die der Winter mit sich bringt, auszuhalten? Wir erlauben uns nicht, wenigstens die Feiertage zu nutzen, nichts zu tun und einfach in den Tag zu leben.
Wir haben für uns schon lange beschlossen, uns davon nicht beeinflussen zu lassen. Die Feiertage nutzen wir, um gute Gespräche mit Freunden und der Familie zu führen, gemeinsam zu essen, zu spielen, ein gutes Buch zu lesen oder auch einfach mal nur fernzusehen. Wir werden uns bewusst entschleunigen, den Tag auch mal im Pyjama verbringen und mit den Hunden im Schnee tollen.
Ich persönlich werde auch in diesem Jahr die Raunächte zelebrieren, täglich meditieren und mir Reflektionsfragen beantworten. Dieser Prozess ist so nachhaltig, weil mir meine Eindrücke, die ich täglich notiere, das ganze Jahr wie ein roter Faden dienen, wo meine persönliche Reise hingeht.
Was hat der Winter mit dem Loslassen zu tun? Im Winter verabschieden wir uns vom vergangenen Jahr. Wir schließen Projekte oder Pläne ab, die wir nicht mehr mit ins neue Jahr mitnehmen möchten. Das Jahr wird beendet und die Zeit ist ideal, um aufzuräumen und sich von Dingen zu trennen, die keinen Wert mehr für uns haben.