Das erste eigene Zimmer, die erste gemeinsame Wohnung, nicht nur ich kann mich gut daran erinnern, wie es dort aussah, welche Möbel wir dort untergebracht haben und wie frei wir uns gefühlt haben, als wir dort einzogen. Während beim Einzug noch alles recht übersichtlich aussieht und Ordnung herrscht – trotz Umzugskartons und Improvisation auf Matratzen – sammeln sich im Laufe der Zeit viele Dinge an, die die Räume füllen und uns Raum nehmen. Unordnung entsteht.
In meiner ersten Wohnung übernahmen wir die vorhandenen Küchenmöbel und ergänzten sie mit Ikea-Tisch und Stühlen. Verwandte und Freunde versorgen das junge Paar mit allerlei Kleinmöbeln und Küchenutensilien. Einerseits natürlich, um zu helfen, andererseits wohl auch, um sie loszuwerden. Und so entstand im Laufe der Zeit ein buntes Sammelsurium an Dingen und Möbelstücken, die weder zusammenpassten noch einen konkreten Zweck erfüllten. All der Kram, der sich im Laufe der Zeit ansammelt, muss ja irgendwo untergebracht werden, also braucht es noch mehr Schränke, Regale und Stauraum, der Dinge aufnimmt, die wir eigentlich überhaupt nicht brauchen.
Warum merken wir nicht, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir so viel besitzen, dass wir den Überblick verloren haben? Warum machen wir uns keine Gedanken darüber, wer das alles aufräumen soll, wenn wir nicht mehr da sind?
Vor meinem Haus steht ein Container, der gerade mit Sperrmüll gefüllt wird. Er wird nicht reichen, es werden weitere Container notwendig sein. Teuer eingekaufter Kram wird nochmal teuer entsorgt. Und wir machen uns keine Gedanken darüber, wie wir unsere Wohnungen vollstopfen und uns selbst die Energie rauben.
Irgendwann geht die Ordnung verloren, wenn wir nicht aufpassen
Keller und Dachboden hatten eine enorme Aufnahmekapazität und wir haben sie komplett ausgenutzt. Möbel, die wir geschenkt bekamen, standen erst auf dem Dachboden, wurden irgendwann in den Keller gepackt und werden jetzt beim Auszug nochmals bewegt werden müssen. Noch fristen sie ihr Dasein in der Hoffnung, dass sie irgendwann gebraucht werden könnten. Doch wozu? Der schwere Eichentisch aus den 40er Jahren hat seine besten Zeiten hinter sich. Die Stühle müssten alle neu gepolstert werden. Die dazu passenden Schränke sind von solch einer Wucht, dass sie die Energie des Raumes in die Knie zwingen. Diese Möbel schüchtern ein.
In meiner neuen Wohnung habe ich darauf geachtet, dass die Räume nicht zu voll werden. Angeschlagenes Porzellan wird entsorgt. Die umfangreiche Tuppersammlung wurde ausgedünnt und die Sammlung von truefruits-Flaschen der Glassammlung zugeführt. Statt fünf Kartoffelschälern habe ich nur noch drei. Ich widerstehe der Versuchung, weitere Schränke zu platzieren, um Aufnahmekapazitäten zu schaffen. Auf meinen wenigen Kommoden und Schränken herrscht Ordnung, kein Sammelsurium von Souvenirs oder Erinnerungsstücken, die einerseits überholt sind und es andererseits unmöglich machen, Veränderung zuzulassen.
Ordnung auch im Keller
Auch im Keller herrscht Ordnung. Zwei riesige Schwerlastregale nehmen beschriftete Kunststoffboxen auf, in denen sich Lebensmittel oder Dinge finden, die nicht im täglichen Zugriff sein müssen. Leuchtmittel, Geschenkpapier, Kleber, Weihnachtsdekoration, Servietten und Marmelade.
Im Bürokeller nehmen jetzt ebenfalls Schwerlastregale alle Ordner auf, die wir noch archivieren müssen. Alles andere wurde entsorgt: Festplatten, Locher, Tacker, und Kugelschreiber, die bis an den Rest meiner Tage reichen würden, wenn ich täglich 8 Stunden schriebe.
Wir trennten uns weder von alten Verträgen noch von Kontoauszügen aus den 90er-Jahren. Aus Bequemlichkeit und weil genügend Raum vorhanden war, horteten wir Datenträger, Bankbelege und Geschäftsunterlagen, die schon lange nicht mehr gültig waren und deren Aufbewahrungspflicht seit zwanzig Jahren vorbei war. Rechtsstreitigkeiten, all der Ärger, verstopfte unser Archiv und wurde als Altlast mitgeschleppt. Das Fundament unseres Geschäfts waren verblasste Faxkopien und Schriftwechsel mit Personen, die nicht mehr lebten und in Firmen arbeiteten, die es nicht mehr gab.
Unordnung belastet – Ordnung befreit
Für Menschen, die ihre Partner:in verloren haben, ist es besonders wichtig, nach einer Zeit der Trauer und des Stillstands aktiv zu werden und zu überlegen, von welchen Dingen es Zeit ist, sich zu trennen. Dabei sind ein schlechtes Gewissen oder das Gefühl, die Vergangenheit wegzuwerfen Fehl am Platz. Zu akzeptieren, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der nicht mit Dingen befüllt werden sollte, die einen daran hindern, sich weiterzuentwickeln wie ein Anker, der am Schiff hängt, ist der erste Schritt. Und dann sollte begonnen werden, Dinge zu sichten, zu werten und sich zu trennen.
Am Ende wartet das gute Gefühl, wieder durchatmen zu können und den Überblick zu haben.
Wenn Du am Sortieren bist, frage Dich bei jedem Stück:
- Ist es wichtig, dass ich es habe?
- Macht es mir Freude?
- Was wäre, wenn ich mich davon trennen würde?
- Wenn es teuer war, was für einen Unterschied würde es machen, wenn ich es behalte? Hätte ich dann mehr Geld zur Verfügung?
- Fühle ich mich in diesem Raum wirklich wohl, oder gibt es Dinge, an denen ich keinen Wert fühle?
Du wirst merken, dass es Dir von Stück zu Stück leichter fällt. Wenn Du Dich schwer tust, weil Du noch Erinnerungen mit dem Stück verbindest, dann packe es in einen Karton weg und schaue, was passiert. Wenn Du es wirklich vermisst, dann kannst Du es wieder herausholen und weißt, dass es zu Dir gehört.